Eine Linke ohne Arbeiterbewegung? Teil 3 - Für wen soll die Linke heute kämpfen?

12:02 1 Comments


Wer heute noch mit dem Schlachtruf „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ in Richtung einer klassenlosen Gesellschaft schreiten will, macht sich lächerlich. Die Zeit der traditionell-proletarischen Linken ist vorbei. Zumindest in Europa. Ihr fehlt die gesellschaftliche, die ökonomische Grundlage, um weiterhin erfolgreich zu agieren: Unser jetziges Wirtschaftssystem ermöglicht dem klassischen Klientel der Linken, den stabil lohnabhängig Beschäftigen, einen so hohen Lebensstandard, dass es den meisten nicht mehr lohnend erscheint auf gesellschaftliche Veränderung hinzuwirken. Und nichts ist aussichtsloser, als ihnen, mit dicken Philosophie-Büchern in der Hand, erklären zu wollen, warum sie doch unterdrückt seien.

Das stürzt die Linke in eine tiefe Identitätskrise. Für wen soll man denn nun kämpfen, an wessen Lebensumständen kann man seinen Erfolg messen. Und nicht nur das, wer soll einen unterstützen, wer soll einen wählen. 
Es ist ein Fakt, dass keine politische Bewegung erfolgreich sein kann, wenn sie nur aus Idealisten mit „angelesenen“ Überzeugungen besteht. Eine jede Bewegung ist auf Unterstützer angewiesen, die sie stützen, weil sie von ihr eine konkrete Verbesserung ihrer eigenen Lebensumstände erwarten. Nur so kann man Massen auf seine Seite bringen. 
Wem also kann die Linke, mit ihrer Vision einer Gesellschaft frei von Unterdrückung, eine konkrete Verbesserung der Lebensumstände versprechen. Wer ist unserer Gesellschaft noch unterdrückt? 
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich überlegen, welche Auswüchse des heutigen System, auf wirtschaftlicher, aber auch auf politischer, sozialer und ökologischer, Ebene negativen Einfluss auf das Leben verschiedener Menschengruppen haben. 

Auf wirtschaftlicher Ebene wäre dabei Globalisierung, Automatisierung und Digitalisierung zu nennen. Durch diese Prozesse hat sich das Wirtschaftsleben überall auf der Welt grundlegend verändert, zahlreiche gut bezahlte Jobs wurden, durch Outsourcing oder Automatisierung, entweder in schlecht bezahlte Jobs in Billiglohnländern umgewandelt oder gänzlich vernichtet. Des weiteren hat die Konkurrenz zwischen Menschen und Staaten überall auf der Welt zugenommen, sodass durch den Race-To-The-Bottom-Effekt die Sozialsysteme, eine der größten Errungenschaften der Arbeiterbewegung, in Gefahr sind. So ist heute eine größere Zahl an Menschen von Sozialsystemen abhängig, weil der Markt nicht für ihre Versorgung sorgen kann, während gleichzeitig weniger Geld zur Verfügung steht. Es ist eine größer werdende Gruppe der Abgehängten entstanden, deren Versorgung stets unsicher ist.

Gleichzeitig gibt es zahlreiche soziale Probleme, die gelöst werden müssen. In Anbetracht der sogenannten Flüchtlingskrise, ist es offensichtlich geworden, dass Rassismus nach wie vor ein Problem in ganz Europa ist. Doch nicht nur Ausländer, sondern auch Frauen, Homosexuelle, letztlich jeder der sich auf irgendeine Weise vom Durchschnitt der Gesellschaft unterscheidet, hat nach wie vor mit Diskriminierungen zu rechnen. 

Ebenso im Bereich der Ökologie. Man darf in Anbetracht der kurzfristigen Aufgaben, die die Gesellschaft bewältigen muss, nicht vergessen, dass weiterhin der ökologische Kollaps droht, wenn wir weiterhin Raubbau an unserer Lebensgrundlagen betreiben. Schon heute bekommen Menschen überall auf der Welt die Folgen der von Menschen verursachten Umweltveränderungen zu spüren. Seien es Dürren, Überschwemmungen oder andere Umweltkrisen, ihre Opferzahl ist steigend.

Und auch auf der politischer Ebene sind die Forderungen, die die Menschen an das herrschende System stellen, längst nicht erfüllt. Immer mehr Menschen verzweifeln an der Intransparenz, an der der Bürokratisierung und am Mangel an echter Demokratie und Bürgerbeteiligung, die unserem politischem System zu eigen sind. Bei manchen politischen Entscheidungen, wie beim Thema Freihandel, erscheint es, dass im Endeffekt die Interessen einer politischen und wirtschaftlichen Elite wichtiger sind, als die Interessen und die Meinung der Mehrheit der Menschen. 

Und das ist sicherlich noch nicht einmal ein Bruchteil der Prozesse, die heutzutage Menschen daran hindern ihre sozialen und materiellen Bedürfnisse zu befriedigen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Man kann also sehen, dass es ein Fakt ist, dass Unterdrückung in unserer Gesellschaft weiterhin existiert. Doch ihre Formen haben sich verändert, manche Formen der Unterdrückung werden von den Menschen heute als wichtiger angesehen, andere sehen sie nicht mehr als dringend an. 

Wichtig ist für die Linke, nicht zu versuchen, mit Hilfe von Philosophen oder aus linker Tradition heraus zu bestimmen, welche Formen der Unterdrückung als Erste angegangen werden müssen, sondern vielmehr auf die Bedürfnisse, die Meinungen und die Interessen der Menschen einzugehen und diese mit linken Ideen zu verbinden. Dafür braucht es Interaktion mit allen Schichten der Gesellschaft. 
________________________________________________________________________

1 Kommentar:

  1. Die Analyse ist weitgehend zutreffend. Auch das Ausloten möglicher Strategien für eine Linke ist akzeptabel. Jedoch die "klassische Klientel der Linken" als in wirtschaftlich stabilen Verhältnissen zu wähnen, ist angesichts des Vorhandenseins von Zeitverträgen, Kettenverträgen, Marginalentlohnungen und zunehmenden Scheinselbstständigkeiten eine mehr als kühne Behauptung.

    Auch erkennen zunehmend ältere Menschen, die in ihre Rentenphase kommen, dass sich ihr Erwerbsleben für sie kaum gerechnet hat. Immer mehr Rentnerinnen und Rentner müssen aufstocken, um einigermaßen menschenwürdig über die Runden zu kommen.

    Bewegungen entwickeln sich aktuell deshalb nicht, weil man den Menschen die Mittel, politisch einwirken zu können, genommen hat. Parlamente sind einer vermeintlichen neoliberalen Alternativlosigkeit ausgeliefert. Abgeordnete, die dieses "Spiel" nicht mitmachen, bekommen ihre "Karrieren" beendet. NGOs und andere sogenannte Graswurzelbewegungen haben in den diversen Wandelhallen der Land-, Bundes- und Europaparlamente keine Chance gegen die finanziell und personell wesentlich besser bestallten Lobbyisten der Wirtschafts- und Finanzeliten.

    Erschwerend kommthin zu, dass sich die meisten Menschen längst in ihre idyllischen Wagenburgen zurückgezogen haben, und sich erst dann bemüßigt fühlen, politisch aktiv zu werden, wenn es ihrer "Privatburg" ans Leder geht. Bei zu vielen Menschen entsteht "intrinsische Motivation" politisch zu handeln erst aufgrund "extrinsischem Drucks". Der gesellschaftlichen Linken gelingt es nicht, den Menschen diesen Druck nachvollziehbar zu machen. Denn leider glauben die Menschen, dass dieser Druck wie selbstverständlich zum Leben dazugehört und somit ein Normalität ist.

    Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Philip Rösler (F.D.P.) hat das Volk mit einem Frosch verglichen, den man in angenehmes lauwarmes Wasser setzt. Erhöht man nun die Wassertemperatur in geringem, aber beständigem Maß bis es kocht, wird der Frosch brav im Wasser verbleiben bis er kocht und ein Heraushüpfen zu schwer sein wird.

    Der einzige Weg der Linken, gesellschaftlich zu reüssieren, besteht darin, diesen Wirkungsmechanismus den Menschen vor Augen zu führen. Doch ohne eigene mediale Macht ist dieser Weg von vorneherein zum Scheitern verurteilt.

    Vielleicht ist die Einführung eines linken Grundeinkommens ein möglicher Weg, die Menschen aus ihrer politischen Agonie herauszubekommen.

    AntwortenLöschen